Das schwarze Schaf der Metternichs

Museum Geschichten, Dr. Miloš Říha, 2004

Haben Sie bisweilen bemerkt, dass der Stammbaum bedeutender Geschlechter immer irgendwie nachträglich erstellt wurde? Es ist nicht so, dass sich gleich am Anfang jemand im Zuge einer Erleuchtung als „Gründer des Geschlechts“ proklamieren und seinen Kindern und Enkeln erklären würde, dass sie immer jeden weiteren Nachkommen sorgfältig zu verzeichnen haben. In der Regel sind das Biographen des ersten bedeutenderen Angehörigen des Geschlechts, die beginnen erst sozusagen „nachträglich“ seine Wurzeln und berühmten Ahnen zu suchen, von denen er seine Genialität geerbt hatte. Die europäische Geschichte hat das schon oft genug erlebt und die Metternichs waren dabei überhaupt keine Ausnahme.

Aus dem ursprünglich noch sehr durchschnittlichen und unbedeutenden Geschlecht zeichneten sich nur folgende etwas mehr aus: Lothar I., Erzbischof und Kurfürst von Mainz am Anfang des 17. Jh., Lothar Friedrich, der nämliche und ebenda um 30 Jahre später und schließlich Fürst Klemens Lothar, österreichischer Staatskanzler. Und gerade für ihn erarbeiteten seine Biografen einen gehörig langen Stammbaum, in dem Kanzler Metternich in der 13. Generation ein Nachfolger des ältesten bekannten Vorfahren des Geschlechts, Graf Karl I. aus dem Jahr 1400 ist.

Die Vorfahren gründeten erfolgreich neue Zweige, Linien und Ausläufer, die später wieder ausstarben: Wolff-Metternich, Metternich-Burscheider, Metternich-Winneburg, usw. Die Ankunft der Metternichs in Königswart war das Verdienst von fünf Neffen des Erzbischofs und Kurfürsten Lothar. Nach dem Dreißigjährigen Krieg erhielten Johann Reinhard, Wilhelm II., Karl, Emmerich und Lothar II. an dem konfiszierten Eigentum der Herren von Zedwitz zuerst das Pfandrecht (1623) und später (1630) kauften sie es. Es waren ziemlich ungehobelte Soldaten aus der Wallenstein Armee und Königswart hatte an ihrer Ankunft keine große Freude.

Als fast 200 Jahre später (im Jahr 1818) das Eigentum der Erbfürst Klemens Wenzel Lothar erbte, war er mit seinen 45 Jahren schon ziemlich auf dem Gipfel seiner diplomatischen Karriere. Er hatte einige erfolgreiche politische Partien mit Napoleon hinter sich. Zuerst verheiratete er ihn mit der Tochter seines österreichischen Kaisers und erreichte so für Österreich einen Waffenstillstand knapp vor der unabwendbaren Katastrophe. Danach gewann er erfolgreich den russischen Zar, den preußischen König und den österreichischen Kaiser für eine Koalition gegen Napoleon und schließlich ließ er auf Bällen und Maskeraden die Teilnehmer des Wiener Kongresses sich so „müde tanzen“, dass sie alle Bedingungen seiner Heiligen Allianz akzeptierten.

Kanzler Klemens Metternich war zweifelsohne die bedeutendste Persönlichkeit des Geschlechts in seiner ganzen Geschichte. Es ist schade, dass sein Sohn, Fürst Richard, für immer in seinem Schatten stehen blieb. Seine philosophischen Anlagen, seine Bildung, diplomatischen Fähigkeiten und Erfahrungen würden es verdienen, ihn zu einer bedeutenderen Persönlichkeit zu machen, als nur „den Sohn seines Vaters“.

Allein, was sich der Fürst Richard mit seinem ungeratenem Neffen herumärgern musste. Der zwanzigjährige Sohn seines Bruders Paul machte der ganzen Familie nur Schande. Glückspiele, Schulden und maßlose Zechereien mit Freunden nahmen kein Ende und Onkel Richard, der regierende Fürst, musste lauter Beschwerden darüber regeln, was der Bengel wieder angestellt hatte. Der Gipfel waren Glückspiele im verbotenen Casino von Marienbad. Der junge Klemens verlor wieder alles, was möglich war, und überdies verstieß er gegen das Gesetz. Sein Onkel Richard musste im schon offen drohen, dass er ihn enterben würde. Es vergingen jedoch ein paar Jahre und nach dem Tod von Fürst Richard (1895) und seines Bruders Paul (1906) wurde das schwarze Schaf der Familie Metternich der 5. Fürst von Metternich-Winneburg, der 4. Herzog von Portelly, Graf von Königswart und Erbe eines riesigen Vermögens in Wien, Königswart, Plasy bei Pilsen, im niederrheinischen Johannisberg und in Ungarn.

Klemens schaffte es noch kurz vorher sich in Madrid mit der Cousine des spanischen Königs, der kastilische Comtesse Isabella de Silva zu vermählen und dann machte er wieder nur Schulden. In finanzieller Bedrängnis bereitete er sogar den Verkauf des Schlosses in Königswart und seiner Sammlungen vor. Die Bibliothek und die Sammlungen waren jedoch schon seit dem Jahr 1696 Teil des unveräußerlichen Erbgutes der Familie (Fideikomis) und der Kurator des Vermögens, Markgraf Alexander Pallavicini, verhinderte deshalb den Ausverkauf. Der ursprüngliche Palast des Kanzlers am Wiener Rennweg hatte jedoch kein solches Glück und wurde im Jahre 1911 verkauft (heute befindet sich dort die italienische Botschaft).

Schon im Jahr 1907 verkaufte Klemens in einer Auktion die Wiener Bibliothek und trotz Verbot auch einige Bücher aus Königswart. Wahrscheinlich wechselte er auch einen Teil der goldenen Münzen aus der Königswarter numismatischen Sammlung aus und ersetzte sie mit weniger wertvollen Exemplaren. Die umfangreiche Wiener Sammlung von 32 Bildern, 155 Miniaturen und 29 Marmorplastiken, Reliefs und Vasen lieh sich zur Ausstellung das Kunsthistorische Hofmuseum aus und irgendwann nach dem Jahr 1907 wurde die ganze Kollektion sukzessiv nach Königswart gebracht.

So gelang es diesem schwarzen Schaf der Metternichs in ein paar Jahren, vieles von dem „zu zerstäuben“, was vorher sein Großvater und Onkel zusammengetragen hatten. Dass er dabei, ohne Absicht, Königswart um die künstlerischen Sammlungen aus Wien bereicherte, ist bestimmt nicht sein Verdienst.