Womit Napoleon spielte

Museum Geschichten, Dr. Miloš Říha, 2004

Was für eine praktische Sache ist das Internet! Einst trafen auf dem Monitor eines Computers im kalifornischen Beverley Hill drei Worte aufeinander: Napoleon, Metternich und Königswart. Dies in einer Bemerkung des Wiener Archives, wie ein Diplomat von der St. Helena Insel Pantoffeln, einen lebendigen Affen und ein chinesisches Tangram, jenes Puzzle, mit welchem sich angeblich der ehemalige Kaiser Napoleon in seinem Lebensexil die Zeit gekürzt haben soll, mitgebracht hatte. Weiter fand sich ein Hinweis auf den österreichischen Kanzler Metternich, der damals in Wien die wichtigste Persönlichkeit war. Mit diesen beiden Fakten verband der Computer die Information, dass nach einer Reihe von Jahren Metternichs Kuriositätenkabinett auf Schloss Königswart wieder zugänglich sei.

Der amerikanische Forscher telefoniert sofort nach Nürnberg: „Wo liegt Königswart?“ Schon schwelgt er in der Vorstellung, welche Entdeckung es sei, nach fast 180 Jahren jenes chinesische Spiel zu finden, welches Napoleon persönlich „allein mit sich selbst“ spielte! Nach der Versicherung, Königswart sei von Nürnberg nicht sehr weit (etwa 200 km) entfernt, nimmt Jerry Slocum das nächste Flugzeug nach Nürnberg und fährt mit einem Leihwagen direkt nach Königswart.



Lange sassen wir dann im Büro des Königswarter Schlosses und er erklärte mir detailliert, wie eigentlich ein chinesisches Tangram aussieht. Es handelt sich um ein gut durchdachtes siebenteiliges Legespiel, so kann man übrigens auch die alte chinesische Bezeichnung „ch´i ch´ia tju“ für dieses Spiel übersetzen, das bereits im altertümlichen China bekannt war. Ein Quadrat aus Papier, Karton oder Holz ist in sieben Teile aufgeteilt: in fünf Dreiecke dreier verschiedener Größen, ein Quadrat sowie ein Parallelogramm. Durch Zusammenlegen der einzelnen Teile, ohne dass ein Teil übrigbleibt, kann man verschiedenste Formen erfinden, die zum Beispiel an einen Vogel, Tiger, Menschen erinnern, was Fantasie und Geduld übt. Und da die Anzahl der möglichen Formen unendlich ist, verbringt der Spieler seine Zeit mit dem Suchen immer wieder neuer, überraschender Variationen. Tangram gehört zu den Geduldsspielen und mein Gast ist größter Experte und Besitzer eines Privatmuseums dieser Spiele in Beverley Hills: 20000 Exeplaren nennt die Slocum Puzzle Foundation ihr Eigen und darin gründet sein extremes Interesse Napoleons Tangram zu finden. Auch wenn er keineswegs an die Möglichkeit glaubt, diesen Schatz von uns erwerben zu können, wäre allein schon der reine Fund dieses seltenen Spiels für Experten seines Faches mit dem Auffinden einer bislang unbekannten Variation der „Blauen Mauritius“ für Philatelisten zu vergleichen! Sollten wir das Tangram verkaufen wollen, wäre er bereit, dieses für jede erdenkliche Summe zu erwerben.

Und so hat mich diese Suche verständlicher Weise gefangen genommen (von einem Verkauf war natürlich niemals die Rede), wobei dies lange dauern und kein gesichertes Ergebnis erwartet werden konnte. Meinem Gast konnte ich damals nur versprechen, ihn über die Schritte der Suche und eventuelle Ergebnisse auf dem Laufenden zu halten, und nach wenigen Stunden verabschiedeten wir uns. Er flog zurück über den Ozean und ich vergrub mich zwischen alten Museumskatalogen und Inventarverzeichnissen. Das Problem bestand darin, dass den Informationen von 1821 jegliche weiterführende Angaben über Gestalt, Größe, Farbe, Anzahl usw. fehlten: kurz, alles, was dem heutigen Verwalter der Metternichschen Sammlungen weiterhelfen könnte, um den Gegenstand zu identifizieren. Von Herrn Slocum erhielt ich allerdings zahlreiche Kopien seiner Fachpublikationen wie populären Veröffentlichungen, wo andere chinesischer Tangrams abgebildet sind. Es genügt also vollkommen, etwas Ähnliches zu finden, von dem wir mit größter Wahrscheinlichkeit erklären könnten, es handle sich um das Wahre.

Allerdings bestehen die Königswarter Sammlungen aus vielen zehntausend Gegenständen. Im Jahr 1995, als mich Herr Slocum besuchte, waren zudem nicht einmal alle Sammlungen zurück nach Königswart gebracht worden und so blieb mir nichts anderes übrig, als in den Inventarverzeichnissen und Karteikarten nach Bezeichnungen und Beschreibungen, wie etwa „Spiel in einer Papierkiste“ zu suchen. In gleichem Masse, wie sich auf Grundlage einer Ausschließungsmethode der Kreis der in Frage kommenden Objekte einengt, steigt zugleich die Hoffnung, dem Ziel näher zu kommen, zugleich aber die Befürchtung, dass der gesuchte Schatz unter den übrig gebliebenen Dingen nicht mehr sein wird.

Napoleons Tangram konnte bislang auf Schloss Königswart nicht gefunden werden. War es überhaupt irgendwann hier? Sollten wir es lieber in Wien suchen? Bedenken wechseln mit Hoffnung und ewiger Neugierde.